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1:59:40 und was jetzt? Bild via Fotolia AbsolutVision

1:59:40 und was jetzt?

Gedanken zum Thema Sportswashing und die Frage: 1:59:40 und was jetzt?
Zweifellos hat Eliud Kipchoge mit der Zeit von 1:59:40 über die Marathondistanz von 42,195 Kilometer in Wien Geschichte geschrieben. Um so eine Leistung zu bringen, müssen neben Laborbedingungen auch  jahrelanges Training, soziale Unterstützung und ein unbändiger Wille zum Sieg vorhanden sein. Seine Aussage „er wollte zeigen, dass kein Mensch limitiert ist“, ist in Anbetracht der Entwicklung von Hochleistungssport zumindest hinterfragenswert.

Ich laufe, um Geschichte zu schreiben und zu zeigen, dass kein Mensch limitiert ist.
Eliud Kipchoge

Modellzeit

Der US-Mediziner Mike Joyner hatte 1991 berechnet, dass ein Marathon unter zwei Stunden möglich ist. 01:57:58 wären demnach theoretisch das Schnellste, was ein idealer Mensch unter idealen Bedingungen – Laborbedingungen – laufen könnte. Dieses errechnete Limit zu unterbieten, scheitert vor allem am Limit der maximalen Sauerstoffaufnahme, auch die Laktat-Schwelle und Laufökonomie führt Joyner als physiologische Bedingungsfaktoren an.
Modeling: optimal marathon performance on the basis of physiological factors – PDF

VO2max

Die für Ausdauersportarten so wichtige maximale Sauerstoffaufnahme ist den meisten Studien zufolge zu rund 50 Prozent genetisch festgelegt. Die Körpergröße liegt zu bis zu 80 Prozent, der Body-Mass-Index zu 30 bis 50, die Muskelkraft und die maximale Sauerstoffaufnahme zu rund 50 Prozent in den Genen. Eine der wichtigsten Voraussetzungen für den Erfolg ist damit offenkundig: den zur Sportart passenden Körperbau zu haben.

Kalendjin – ein Langstreckenvolk

Die meisten Langstreckenläufer aus Kenia sind Kalendjin, auch Eliud Kipchoge. Sie machen gerade 0,06 Prozent der Weltbevölkerung aus, haben aber rund 60 olympische Medaillen auf der Mittel- und Langstrecke gewonnen und stellen drei Viertel der kenianischen Spitzenathleten. Forscher der Universität Kopenhagen haben mehrfach Kalenjin-Läufer mit gleichaltrigen dänischen Jungen verglichen. Sie stellten Vorteile im Körperbau der Afrikaner fest, nicht jedoch gravierend bessere Anlagen für die maximale Aufnahmefähigkeit von Sauerstoff.

Evolution und Anpassung

Was im Laufe der Evolution eine Anpassung an das Klima und die Umgebung war, nutzt auch der Biomechanik beim Langstreckenlauf: Über Jahrhunderte mussten die Kalenjin ihrem Vieh hinterherrennen. Die Gene der besten Läufer hätten sich letztlich durchgesetzt, meint David Epstein, Autor des Buches „The Sports Gene“. Doch seit einigen Jahren fällt ein Schatten über Kenias Laufszene. Athleten mit großen Namen wurden beim Dopen erwischt und gesperrt. Kenia hat ein ernsthaftes Doping-Problem.

Talent und Gene

Bis heute wurden weit mehr als 200 Genvarianten identifiziert, die mit der sportlichen Leistung zusammenhängen. Manche Sportverbände setzen heute schon mehr oder weniger offiziell Gentests ein, um Talente zu finden: in Usbekistan, angeblich auch in China und Mexiko.

Sport ohne Limits?

„Ich laufe, um Geschichte zu schreiben und zu zeigen, dass kein Mensch limitiert ist.“, letzteres an der Aussage Kipchoges irritiert mich. Klar, um so eine Leistung zu bringen müssen jahrelanges Training, soziale Unterstützung und der Wille zum Sieg vorhanden sein. Weltklasseleistungen sind neben körperlichen Voraussetzungen immer auch erarbeitet, erkämpft. Aber zu viele Athlet*innen überwinden die eigenen Grenzen mit Doping. Und auch Gendoping ist längst keine Utopie mehr.

Gendoping

Wenn man von Gendoping hört, wird meist von Gendoping im engeren Sinn gesprochen – den Missbrauch gentherapeutischer Maßnahmen, das konkrete Zuführen von genetischem Material, zum Beispiel DNA oder RNA. Gendoping im weiteren Sinn zielt auf die Manipulation der Genexpression mittels hochspezifischer Medikamente – etwa Steroiden.

Doping als Resultat sozialer Faktoren

Das Doping-Problem, mit dem die kenianische Läuferszene ringt, hat soziale Ursachen. Viele Athleten kommen aus sehr bescheidenen Verhältnissen auf dem Land und werden direkt in den Leistungssport katapultiert. Ich denke mit Grauen an die Dopingszene in der DDR – auch sie basierte auf Abhängigkeit, gekennzeichnet von Menschenverachtung und Machtmissbrauch. Wenn der Durchbruch, der zwei Stunden-Marathongrenze als Durchbruch einer psychologischen Barriere des Laufsports frenetisch gefeiert wird, tut sich noch eine andere Sichtweise auf.

Cui bono?

Wer profitiert letztendlich am meisten von Höchstleistungen? Nicht der Sport im allgemeinen, gesellschaftlichen Sinn, schon gar nicht die Athlet*innen. Für die Freude am Laufen in ihrer intrinsischen Motivation und den gesundheitlichen Wert von Bewegung, hat diese Bestzeit keine Auswirkung. Auch Leistungssport zählt nicht zu den Profiteuren. Athlet*innen werden immer austauschbarer und nur mehr an Ausnahmeleistungen gemessen. Und eines ist gewiss, bei 1:59:40 wird es nicht bleiben, wenn die Möglichkeit von 1:57:58 bereits prognostiziert ist.

1:59:40 und was jetzt?

Mike Joyner wollte bereits in den 1990ern seine These vom physischen Geschwindigkeits-Limit des Marathons untersuchen. Es fehlten ihm die Mittel. Dafür waren Sponsoren bereit, tief in die Tasche zu greifen. Wie unter anderem das Oregon Projekt zeigt, um auch unlautere Mittel & Massnahmen zu finanzieren. Dort wo sehr viel Geld im Spiel ist, geht es längst nicht mehr nur um Marken-Kommunikation. Es geht um Sportswashing, mit dem das angekratzte Image von Unternehmen, ja sogar Staaten reingewaschen werden soll.

Sportswashing, alle machen mit

Es sind nicht nur Unternehmen und Staaten die Menschenrechte mit Füssen treten, die Interesse haben ihr Image im Umfeld des Sports strahlen zu lassen. Auch die Sportverbände, vom IOC abwärts, spielen munter mit. Denn spätestens seit Eliud Kipchoge die Schallmauer des Marathons durchrannt hat, ist klar, dass auch der Sport durch Sportswashing seine Reinheit zeigen soll. Genau das halte ich für groben Machtmissbrauch an Hochleistungssportler*innen, die sich meistens nicht bewußt sind, wofür sie eigentlich benutzt werden.

Links zum Thema

Der Wiener Heurige hat nun einen asketischen Kollegen – Joskos Blog, 12.10.2019

Rund 50 Prozent nutzen EPO – Kurzfassung der ZDF Reportage über Doping in Kenia, 31.05.2019

Geborene Sieger – Genetik im Sport, Zeit Online, 19. August 2016

Weltrekordler Eliud Kipchoge: Er wollte eigentlich im Büro arbeiten, SZ, 16. September 2018

Skandalmarathon in Katar bei 32,7 Grad: „Es war schrecklich“, Der Standard, 28. September 2019

Sportswashing and the tangled web of Europe’s biggest clubs, The Guardian, 15. Februar 2019

Machtmissbrauch im System

Machtmissbrauch im System

Franziska Fuchs ist das Pseudonym einer Frau, die in der Öffentlichkeit anonym bleiben will. Sie hat ‚ihre Geschichte‘ von der Vergewaltigung durch Toni Sailer dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel erzählt. Wie im Jänner schon, als ein Journalistenkollektiv neue Fakten zum Akt Sailer aus dem Jahr 1974 veröffentlichte, gehen auch diesmal die Emotionen hoch. Es wird gemutmaßt und verurteilt. Im Zusammenhang mit sexueller Gewalt im Sport steht aber eines Fest: Die Hauptschuld trägt der Machtmissbrauch im System

Franziska hat mich im Frühling 2018 kontaktiert. Sie möchte mit mir reden. Nicht am Telefon, ob wir uns treffen können? Wir trafen uns und was sie mir anvertraute, hat mich betroffen gemacht wie kein anderes Gespräch über sexuelle Gewalt zuvor.

Vergewaltigt mit vierzehn

Der Spiegel hat darüber berichtet, wie ein 14 jähriges Kind von Toni Sailer mit einer Autogrammkarte am 26. Jänner 1975 im Quartier der österreichischen Mannschaft ins Hotelzimmer gelockt wurde. Wie zunächst eine Vergewaltigung versucht wurde. Das Mädchen dann im Zimmer eingeperrt war um später von einem 40 jährigen Nationalhelden brutal missbraucht zu werden.

Glaubwürdige Schilderung

Ich habe keine Sekunde an Franziskas Schilderung gezweifelt. Die Zusammenhänge hätte allenfalls jemand aus dem näheren Umfeld des Skizirkus konstruieren können, nicht aber ein Mädchen, das als Skifan zur falschen Zeit am falschen Ort war.

Warum erst jetzt?

Es war ein Gespräch unter heute reifen Frauen, über kindliche Ratlosigkeit, Schuldgefühle, Scham und wie Franziska dadurch schwer krank wurde. Sie hat sich noch als Jugendliche einem Therapeuten anvertraut. Er hat ihre tiefe seelische Verletzung als Jungmädchen-Phantasie abgetan. Danach hat sie geschwiegen.

Ich erzählte meine Geschichte und sagte: ich wurde vergewaltigt. Habe auch den Namen dazugesagt. Der Arzt hörte zu, schluckte und meinte anschließend, ob ich mir sicher bin, denn er glaube, das ist nur ein Jungmädchentraum.
Originalzitat FF

Einige Wochen vor unserem Treffen habe ich für den Kurier einen Gastkommentar geschrieben. Die Wogen gingen in Österreich hoch, weil ein Journalistenkollektiv von Der Standard, Dossier und Ö1 den ‚Akt Sailer‘ erneut ausgegraben hat, nachdem der Fall 1974 im Stern bereits Thema war und erfolgreich verdrängt wurde.

Wir reisten damals auch in den „Ostblock“. Dort hörte ich von günstigen Quellen für Kaviar, Krimsekt & „Nutten“. In den Hotels der Nomenklatura herrschte Ausnahmezustand, auch für die Grundwerte des Marxismus. In diesem Ambiente war vieles möglich. Sogar das Unvorstellbare, das 1974 über Toni Sailer im „Stern“ erstmals in den Fokus der Öffentlichkeit geriet. Der junge Journalist Bernd Dörler hatte akribisch recherchiert und mit viel Mut über weitreichende Zusammenhänge berichtet.

Schon damals stand weniger die mögliche Straftat von Sailer im Mittelpunkt. Es war das diplomatische Zusammenspiel, das politische Kalkül zweier Regierungen. Das hätte man ernst nehmen müssen und nicht zensieren. Als Mitglied des Skiteams, wusste ich nicht was ich glauben soll. Es kursierten viele Geschichten und Gerüchte. Die Version vom Skiverband wurde zur Norm, der Journalist zum Schwein erklärt. Somit war das Thema tabu.

„Der wahre Skandal wird sichtbar“
Nicola Werdenigg, Gastkommentar Kurier

Das Opfer des Systemversagens hat ein Gesicht

Nachdem Franziska mir ‚ihre Geschichte‘ erzählt hatte, bekam ein Opfer des Systemversagens ein Gesicht, das die Person Toni Sailer und mutmaßlichen Taten noch mehr in den Hintergrund gedrängt hat. Sailer wäre am 17. November 83 Jahre alt geworden, 2009 ist er gestorben. Das System, das zumindest ein mutmaßliches zusätzliches Verbrechen möglich gemacht hat, erfreut sich eines blühenden Lebens.

Aus der Vergangenheit nichts gelernt

Männerbünde bestehend aus Sportfunktionären und Politikern verhinderten die Aufklärung einer schweren Anschuldigung. Sie setzten sich über Gesetze und Rechte jeder Art hinweg. Namhafte aktive Politiker haben aus der Vergangenheit nichts gelernt. Sie kritisierten im Jänner 2018 die Veröffentlichung der Recherchen.

Machtmissbrauch im System

Anstatt die Vertuschungsvorgänge, die sich damals zugetragen haben, zu untersuchen und offenzulegen, setzen sie die alte Maschinerie erneut in Gang. Der Skiverband ist bis heute nicht bereit, Verantwortung zu übernehmen, wie sich im Fall des jüngst wegen sexueller Übergriffe verurteilten Skitrainers zeigt. Auch hier ist nicht die Tat der Skandal. Es ist die Selbstverständlichkeit, mit der die hoffnungsvolle Sportkarriere eines Jugendlichen ruiniert wurde.

Es geht (was) weiter

Wir sind im Jahr 2018 und ein knappes Jahr nach dem Machtmissbrauch im Sport ein öffentliches Thema wurde einen kleinen Schritt weiter aber noch längst nicht am Ziel. Es werden sich weiter Betroffene melden, Gerichte werden entscheiden und irgendwann wird es nicht mehr möglich sein, sich herrisch abzuputzen und die Zuständigkeit zu leugnen.

Es geht um die Zukunft

Einige Gespräche mit hochrangigen Sportfunktionären, die das schon erkannt haben, machen Mut. Die Alten Herren, die sich um die Zukunft der Nachfolge-Generationen keine Gedanken machen, werden von immer mehr Menschen nicht mehr ernst genommen. Vor allem dann, wenn sie sich hinter der Entrüstung über späte oder gar posthume vermeintliche Rufschädigung von Sportlegenden verstecken.

Nachlese – wie alles begann

Chronologie in ausgewählten Artikeln

„Es gab Übergriffe. Von Trainern, Betreuern, Kollegen“
Der Standard, 20. 11. 2017

Schwerpunkt Übergriffe im Sport
Der Standard

Der Akt Toni Sailer
Dossier 17.01.2018

„So, heut‘ kommst du dran!“
Süddeutsche Zeitung – 8. Februar 2018, Missbrauchsvorwürfe in Österreichs Skisport

„Toni Sailer war ein Nationalheld. Ich war 14“
Der Spiegel, 19. Oktober 2018

Warum erst jetzt? Die häufigste Frage an Betroffene sexualisierter Gewalt, die sich entschlossen haben endlich zu reden.

Warum erst jetzt?

Im November 2017 bin ich knapp 40 Jahre nach dem Ende meiner Skikarriere mit meinen persönlichen Erfahrungen sexualisierter Gewalt im Sport an die Öffentlichkeit gegangen. Seither hat sich viel getan. Betroffene aus vielen Sport- und anderen Lebensbereichen haben den Mut gefunden zu reden. Bei vielen liegen die schlimmen Erlebnisse lange zurück, ebenso wie bei mir.  Die häufigtste Frage, die allen gestellt wird: Warum erst jetzt?

Es war kein Fremder

Wenn mich auf der Prater-Hauptallee jemand Wildfremder überfallen würde, dann wäre sofort klar: Das zeige ich an.

Aber wenn es im unmittelbaren sozialen Umfeld passiert, fällt einem die Orientierung so schwer: Was tue ich jetzt? Das war ja nicht der unbekannte Fremde, der dich irgendwo von der Straße in ein Hauseck reinzieht, das war das unmittelbare soziale Umfeld, das Umfeld, in dem sich auch alle meine Freunde befanden.

Anzeige undenkbar

Das ist so, als ob es in der Familie passiert – dann ist das Ganze, noch einmal schwieriger. Mein privates Milieu, mein familiäres Milieu und das sportliche, das war im Grunde genommen alles ein einziges Gefäß. Ich war etwa 18 Jahre alt, da habe ich es gegenüber einer Freundin verbalisiert, sie war ganz betroffen. Sie kam auch aus diesem Umfeld – doch das dann auch anzuzeigen, ist uns damals beiden nicht in den Sinn gekommen. Das war aus dem Milieu und der Zeit heraus absolut keine Denkkategorie.

In den ersten Jahren waren es die Scham und die Angst, stigmatisiert zu werden und die Sportkarriere aufgeben zu müssen. In den 1970er-Jahren haben vergewaltigte Frauen vor Gericht selten recht bekommen.

Vorläufig verdrängt

Als ich meinen Mann kennenlernte, wollte und musste ihm davon sofort erzählen. Ich stellte mir ja auch die Frage: Bin ich noch liebenswert? Kann mich nach so etwas überhaupt noch jemand lieben? Und er hat so reagiert, dass uns danach 35 Jahre wunderbarer Partnerschaft möglich waren. Und dann waren bald drei kleine Kinder da, die Erlebnisse wurden in den Hintergrund gedrängt. In der jungen Familiensituation und wirtschaftlichen Aufbauphase war es undenkbar, meine Geschichte öffentlich zu machen.

Endlich abgeschlossen

In den Siebzigern, Achtzigern konnte man am Land auch nicht zu einem Psychologen gehen, ohne für verrückt gehalten zu werden. Erst etwa zwanzig Jahre später, als ich schon in Wien lebte, bin ich eigentlich wegen etwas ganz anderem zur Therapie gegangen. Da ist das dann ziemlich schnell hochgekommen. Dann lag mit einem Mal der Ursprung des Problems da, und dieser Zustand war ungeheuer erleichternd. Erst ließ ich die Wut heraus, dann war sie weg und ich mit meinem Schicksal versöhnt.

Wenn sich jemand an mich wendet und um Rat fragt, sage ich:

„Schließ es bitte zuerst für dich selber ab. Schau, dass die Wut weg ist, bevor du weitere Schritte unternimmst, geh ein, zwei Schritte zurück -such nach persönlichen Zusammenhängen und nach strukturellen Zusammenhängen. Kläre es erst mit dir selbst, bevor du dich öffentlich äußerst.“

Warum erst jetzt?

Auszüge aus meinem Buch – SKI MACHT SPIELE

Er war ein Volleyballtrainer. Es war im Mai 2017, als die Presse von einem 60-Jährigen berichtete, der wegen des Verdachts auf schweren sexuellen Missbrauch von Unmündigen, Missbrauch eines Autoritätsverhältnisses und Herstellung von Kinderpornografie festgenommen worden war. 57 mutmaßliche Opfer hatten sich gemeldet. Die Medien setzten sich nur spärlich mit dem Fall auseinander – bis das Interesse schließlich ganz versiegte.

Mein erstes Enkelkind sollte im Sommer zur Welt kommen, und ich fand, es sei höchste Zeit, etwas gegen Machtmissbrauch im Sport zu unternehmen. Von der #MeToo-Bewegung, die bereits 2006 von der Frauenrechtsaktivistin Tarana Burke in den USA gegründet worden war, wusste ich damals noch nichts. Meine Idee, anhand meiner eigenen Erlebnisse im Umfeld des Skisports ein erhöhtes Bewusstsein für eine Problematik, die so viele betrifft, zu schaffen, schien mir einen Versuch wert.

Jetzt bin ich zur Triggerin geworden – für individuelle Ängste auf allen Seiten der Betroffenheit.

Die einen fühlen ihre Geheimnisse als Opfer, Zeugen oder als Täter enttarnt. Für viele andere bin ich so was wie eine große Schwester geworden, sie vertrauen mir „ihr Geheimnis“ an – Opfer, Zeugen, und nein, bisher waren keine Täter dabei. Viele Männer – und das macht echt Mut – wollen sich neu orientieren und stellen Fragen, wie ich als Frau männliches Verhalten empfinde.

Alles war richtig – auch der Zeitpunkt

Ich habe das Richtige getan. Daran hatte ich zu keinem Zeitpunkt Zweifel. Ich habe den Schritt vom Opfer zu einer nicht leidenden Betroffenen längst vollzogen. Es wurden keine alten Wunden aufgerissen, ich habe emotional mit den Vorfällen abgeschlossen. Ich arbeite daran alles mir Mögliche gegen Machtmissbrauch im Sport zu unternehmen. Diese geradezu selbstverständlichen Übergriffe konnten und können nur in Strukturen passieren, die in sich geschlossen sind.

#WeTogether

Der Sport und gerade der Sport der Nachkriegszeit hat diese Auswüchse begünstigt. Mit seinen Idolen, mit seinen Inszenierungen, mit der Verflechtung zwischen Politik und Sport. Insbesondere der Skisport, der zur nationalen Angelegenheit erhoben wurde, könnte gerade jetzt einen Weg einschlagen, der gesellschaftspolitisch richtungsweisend ist.

#WeTogether – Wir alle gemeinsam gegen Missbrauch von Macht!

Um einen authentischen Frage/Antwort-Stil zu erzielen, wurden Textpassagen aus Interviews entnommen

Meine ganze Geschichte – NEWS 17. Dezember 2017 mit David Pesendorfer

Wie aus einem Schneeball eine Lawine wurde – Der Standard 9. Februar 2018 mit Philip Bauer

Der Mensch ist Material 22.3.2018 profil mit Edith Meinhard

Rechtsaussen - Nationalismus im Sport

Rechtsaussen – eine Position bei Winterspielen

Während Romantiker der verklärten Vorstellung vom völkerverbindenden Sport nachhängen, zeigt sich auf Sportstätten und Nebenschauplätzen ein anderes Bild. Die gegenwärtige Struktur des internationalen Spitzensports scheint eher nationalistische und ethnozentrische Tendenzen zu begünstigen als zu ihrem Abbau beizutragen. Ist Rechtsaussen, auch eine Position bei Winterspielen?

Spieglein, Spieglein

Am Ende der Olympischen Spiele kommt dem „Medaillenspiegel“ viel Aufmerksamkeit zu. Dabei sagt er über den sportlichen Erfolg sehr wenig aus. Eine Nation, die nur eine Goldmedaille holt, landet vor einer, die zehnmal Silber schafft. Zehn vierte Plätze werden im National-Ranking gar nicht beachtet. Einige meinen deshalb man solle ein Punktesystem einführen, andere wollen eine Relation herstellen: Medaillen in Beziehung zur Einwohnerzahl eines Landes, zum Bruttonationalprodukt oder zur ökologischen Nachhaltigkeit.

Probleme in Kernsportarten

Derlei Überlegungen interessieren den gelernten österreichischen Sofa-Sportler nicht, solange die Medien mit irgendeiner Statistik titeln können. Und wieder einmal sind es die Skifahrer, die glänzen: „Österreich ist erfolgreichste Alpin-Nation bei diesen Spielen“. Das verklärt den Blick auf die Realität, in einigen Kernsportarten gibt es massive Probleme. Österreich liegt in der Gesamtwertung auf Rang 10.

Friluftsliv contra Leistungswahn

Die Ausrede  – „Austria is a too small country.“ – kann hier nicht angebracht werden; hat Norwegen doch noch weniger Einwohner als „wir“ und steht trotzdem einsam an der Spitze der olympischen Edelmetall-Charts 2018. Ein Grund dafür könnte darin liegen, dass in Norwegen Bewegungskultur stark im Bewusstsein der Menschen verankert ist. Friluftsliv heissst die norwegische Outdoor-Philosophie, sie wird staatlich gefördert und mit ihr ein kulturelles Erbe und Identifikationsmerkmal der Norweger.

Nationalsport, der keiner ist

Wenn jemand „wir“ sagt und damit „Österreich“ meint, identifiziert er sich gerne mit populären Sportarten und deren berühmten Vertretern. Dem Skisport kommt dabei eine bedeutende Rolle in der Entwicklung der nationalen Identität zu. Wenn die Sonne das ÖSV Team bescheint, bescheint sie damit auch die ganze Nation. Skifahren gehört ja vermeintlich zur genetischen Grundausstattung der Österreicher, obwohl gerade einmal 40% der Bevölkerung Skifahrer sind.

Nationalismus mit Wurzeln im Sport

Dass sich aus der Identifikation mit den Nationalhelden – besonders in Zeiten sportlicher Großereignisse – überzogener Nationalismus ableitet, ist Fakt. Die Geschichte des Nationalismus ist stark mit dem Sport verwoben ist. „Turnvater“ Jahn schuf bereits vor 200 Jahren eine nationalistische Sportumgebung. Rund 100 Jahre später führte der Deutsche Alpenverein den Arier-Paragraphen ein. 1923 wurde er in die Verbands-Statuten des Österreichischen Skiverbands aufgenommen.

Gesunder Patriotismus?

Wir erinnern uns: während des NS Regimes durften Menschen wegen ihrer Religions- und Ethnien-Zugehörigkeit nicht an olympischen Spielen teilnehmen. Das ist zum Glück momentan nicht denkbar, doch die nationalistischen Tendenzen sind klar vorhanden auch wenn sie sich hinter dem „gesunden Patriotismus“ verbergen.

Beispiel auf Facebook:
Jüngst freute ich mich über die aussergewöhnliche Performance, von Etser Ledecká, Siegerin im Super-G bei den Alpinbewerben und auf Goldkurs auch am Snowboard. Sie stammt aus Tschechien. Deshalb wurde mit mangelnder Patriotismus vorgeworfen.


Abkehr vom nationalistischen Sport

Wir brauchen keinen gerechteren Medaillenspiegel, sondern eine Abkehr von der nationalistischen und anderweitig politischen Ausschlachtung des Sports. Entweder es geht um die Sache oder um Nationalismus, Macht und Kommerz. Sportlerinnen und Sportler sollen interessieren, weil sie gut sind, und nicht, weil sie aus einem bestimmten Land kommen – finde ich.