1:59:40 und was jetzt?

1:59:40 und was jetzt? Bild via Fotolia AbsolutVision

Gedanken zum Thema Sportswashing und die Frage: 1:59:40 und was jetzt?
Zweifellos hat Eliud Kipchoge mit der Zeit von 1:59:40 über die Marathondistanz von 42,195 Kilometer in Wien Geschichte geschrieben. Um so eine Leistung zu bringen, müssen neben Laborbedingungen auch  jahrelanges Training, soziale Unterstützung und ein unbändiger Wille zum Sieg vorhanden sein. Seine Aussage „er wollte zeigen, dass kein Mensch limitiert ist“, ist in Anbetracht der Entwicklung von Hochleistungssport zumindest hinterfragenswert.

Ich laufe, um Geschichte zu schreiben und zu zeigen, dass kein Mensch limitiert ist.
Eliud Kipchoge

Modellzeit

Der US-Mediziner Mike Joyner hatte 1991 berechnet, dass ein Marathon unter zwei Stunden möglich ist. 01:57:58 wären demnach theoretisch das Schnellste, was ein idealer Mensch unter idealen Bedingungen – Laborbedingungen – laufen könnte. Dieses errechnete Limit zu unterbieten, scheitert vor allem am Limit der maximalen Sauerstoffaufnahme, auch die Laktat-Schwelle und Laufökonomie führt Joyner als physiologische Bedingungsfaktoren an.
[av_font_icon icon=’ue835′ font=’entypo-fontello‘ style=“ caption=“ link=’manually,https://pdfs.semanticscholar.org/6699/5d7becac8e72576c6e9a828a6315982c16b7.pdf‘ linktarget=“ size=’14px‘ position=’left‘ color=“ admin_preview_bg=“][/av_font_icon] Modeling: optimal marathon performance on the basis of physiological factors – PDF

VO2max

Die für Ausdauersportarten so wichtige maximale Sauerstoffaufnahme ist den meisten Studien zufolge zu rund 50 Prozent genetisch festgelegt. Die Körpergröße liegt zu bis zu 80 Prozent, der Body-Mass-Index zu 30 bis 50, die Muskelkraft und die maximale Sauerstoffaufnahme zu rund 50 Prozent in den Genen. Eine der wichtigsten Voraussetzungen für den Erfolg ist damit offenkundig: den zur Sportart passenden Körperbau zu haben.

Kalendjin – ein Langstreckenvolk

Die meisten Langstreckenläufer aus Kenia sind Kalendjin, auch Eliud Kipchoge. Sie machen gerade 0,06 Prozent der Weltbevölkerung aus, haben aber rund 60 olympische Medaillen auf der Mittel- und Langstrecke gewonnen und stellen drei Viertel der kenianischen Spitzenathleten. Forscher der Universität Kopenhagen haben mehrfach Kalenjin-Läufer mit gleichaltrigen dänischen Jungen verglichen. Sie stellten Vorteile im Körperbau der Afrikaner fest, nicht jedoch gravierend bessere Anlagen für die maximale Aufnahmefähigkeit von Sauerstoff.

Evolution und Anpassung

Was im Laufe der Evolution eine Anpassung an das Klima und die Umgebung war, nutzt auch der Biomechanik beim Langstreckenlauf: Über Jahrhunderte mussten die Kalenjin ihrem Vieh hinterherrennen. Die Gene der besten Läufer hätten sich letztlich durchgesetzt, meint David Epstein, Autor des Buches „The Sports Gene“. Doch seit einigen Jahren fällt ein Schatten über Kenias Laufszene. Athleten mit großen Namen wurden beim Dopen erwischt und gesperrt. Kenia hat ein ernsthaftes Doping-Problem.

Talent und Gene

Bis heute wurden weit mehr als 200 Genvarianten identifiziert, die mit der sportlichen Leistung zusammenhängen. Manche Sportverbände setzen heute schon mehr oder weniger offiziell Gentests ein, um Talente zu finden: in Usbekistan, angeblich auch in China und Mexiko.

Sport ohne Limits?

„Ich laufe, um Geschichte zu schreiben und zu zeigen, dass kein Mensch limitiert ist.“, letzteres an der Aussage Kipchoges irritiert mich. Klar, um so eine Leistung zu bringen müssen jahrelanges Training, soziale Unterstützung und der Wille zum Sieg vorhanden sein. Weltklasseleistungen sind neben körperlichen Voraussetzungen immer auch erarbeitet, erkämpft. Aber zu viele Athlet*innen überwinden die eigenen Grenzen mit Doping. Und auch Gendoping ist längst keine Utopie mehr.

Gendoping

Wenn man von Gendoping hört, wird meist von Gendoping im engeren Sinn gesprochen – den Missbrauch gentherapeutischer Maßnahmen, das konkrete Zuführen von genetischem Material, zum Beispiel DNA oder RNA. Gendoping im weiteren Sinn zielt auf die Manipulation der Genexpression mittels hochspezifischer Medikamente – etwa Steroiden.

Doping als Resultat sozialer Faktoren

Das Doping-Problem, mit dem die kenianische Läuferszene ringt, hat soziale Ursachen. Viele Athleten kommen aus sehr bescheidenen Verhältnissen auf dem Land und werden direkt in den Leistungssport katapultiert. Ich denke mit Grauen an die Dopingszene in der DDR – auch sie basierte auf Abhängigkeit, gekennzeichnet von Menschenverachtung und Machtmissbrauch. Wenn der Durchbruch, der zwei Stunden-Marathongrenze als Durchbruch einer psychologischen Barriere des Laufsports frenetisch gefeiert wird, tut sich noch eine andere Sichtweise auf.

Cui bono?

Wer profitiert letztendlich am meisten von Höchstleistungen? Nicht der Sport im allgemeinen, gesellschaftlichen Sinn, schon gar nicht die Athlet*innen. Für die Freude am Laufen in ihrer intrinsischen Motivation und den gesundheitlichen Wert von Bewegung, hat diese Bestzeit keine Auswirkung. Auch Leistungssport zählt nicht zu den Profiteuren. Athlet*innen werden immer austauschbarer und nur mehr an Ausnahmeleistungen gemessen. Und eines ist gewiss, bei 1:59:40 wird es nicht bleiben, wenn die Möglichkeit von 1:57:58 bereits prognostiziert ist.

1:59:40 und was jetzt?

Mike Joyner wollte bereits in den 1990ern seine These vom physischen Geschwindigkeits-Limit des Marathons untersuchen. Es fehlten ihm die Mittel. Dafür waren Sponsoren bereit, tief in die Tasche zu greifen. Wie unter anderem das Oregon Projekt zeigt, um auch unlautere Mittel & Massnahmen zu finanzieren. Dort wo sehr viel Geld im Spiel ist, geht es längst nicht mehr nur um Marken-Kommunikation. Es geht um Sportswashing, mit dem das angekratzte Image von Unternehmen, ja sogar Staaten reingewaschen werden soll.

Sportswashing, alle machen mit

Es sind nicht nur Unternehmen und Staaten die Menschenrechte mit Füssen treten, die Interesse haben ihr Image im Umfeld des Sports strahlen zu lassen. Auch die Sportverbände, vom IOC abwärts, spielen munter mit. Denn spätestens seit Eliud Kipchoge die Schallmauer des Marathons durchrannt hat, ist klar, dass auch der Sport durch Sportswashing seine Reinheit zeigen soll. Genau das halte ich für groben Machtmissbrauch an Hochleistungssportler*innen, die sich meistens nicht bewußt sind, wofür sie eigentlich benutzt werden.

Links zum Thema

Der Wiener Heurige hat nun einen asketischen Kollegen – Joskos Blog, 12.10.2019

Rund 50 Prozent nutzen EPO – Kurzfassung der ZDF Reportage über Doping in Kenia, 31.05.2019

Geborene Sieger – Genetik im Sport, Zeit Online, 19. August 2016

Weltrekordler Eliud Kipchoge: Er wollte eigentlich im Büro arbeiten, SZ, 16. September 2018

Skandalmarathon in Katar bei 32,7 Grad: „Es war schrecklich“, Der Standard, 28. September 2019

Sportswashing and the tangled web of Europe’s biggest clubs, The Guardian, 15. Februar 2019

Der echte Weg zurück

Der echte Weg zurück

Der Weg zurück – Das Projekt hat mir gefallen, als ich erstmals mit Martin Prinz darüber sprach. Es ging mir schon vorher um das Hinterfragen von Hochleistungssport mit seinen totalen Tendenzen. Martin sprach von schizophrenen Zügen im System. Den Versuch, das über ein Comeback und eine zweite Chance für Johannes Dürr zu transportieren, fand ich auch menschlich gut. Verstehen und vergeben, davon bin ich überzeugt, sind wichtig für das eigene Wohl.

An Zorn festhalten ist wie Gift trinken und glauben, dass der andere daran stirbt.
_Buddha

Unbegreiflich

Als ich von Johannes Dürrs neuerlichen Doping-Aktivitäten erfuhr, hat es mich ordentlich erwischt. Ich war ziemlich betroffen, weil ich die Irrationalität dahinter nicht begreifen konnte. Dürr hat sich ja mit seiner Aussage bei den ermittelnden Behörden selbst beschuldigt. Spätestens seit dem Zeitpunkt als er Personen des Dopingnetzwerks benannte, musste er damit rechnen, dass seine jüngsten Aktivitäten in eben diesem Netzwerk auffliegen können.

Was zum Teufel

Ich versuche gerade zu verstehen warum Johannes Dürr so gehandelt hat. Für mich genügt es nicht einfach nur Betrüger zu schreien. Ich wurde ja selbst betrogen. Mein Vertrauen wurde ausgenutzt. Es wäre jetzt ganz einfach Dummheit und/oder krimminelle Energie dafür verantwortlich zu machen. Das Böse oder um päpstlich zu Sprechen, das Übel unhinterfragt zur Verantwortung zu ziehen hilft mir nicht weiter. Ich glaube nicht an den Teufel.

Angst
Angst zu scheitern – Anstoss, Theater Arche 2019 – © P. Nitsche

Verstehen

Es müssen psychische Vorgänge sein, die im sozialen System des Hochleistungssports zu besonderen Handlungen führen. Im Theaterstück Anstoß ist mir eine Emotion aus Athletinnen-Tagen extrem hochgekommen. Die Angst vor dem Scheitern. Sie ist mir am Genick hochgekrochen, hat meine Haare gesträubt und mir Tränen in die Augen getrieben. Als sie vorbei war hatte ich die Lösung für zahlreiche Warum-Fragen.

Angst

Die Angst vor dem sportlichen Versagen fühlt sich an wie Todesangst. Es geht um den einzigen Inhalt der das eigene Leben vermeintlich ausmacht; für den man seit frühester Kindheit alles geopfert und in Kauf genommen hat. Ich weiß nicht ob Dürrs Verhalten damit in Zusammenhang steht, ich kenne ihn nicht persönlich. Es könnte vieles erklären, nicht entschuldigen.

Der echte Weg zurück

Um Entschuldigung bitten muss Johannes selbst, ebenso wie er die Konsequenzen selbst zu tragen hat. Nicht als Opfer sondern als Täter. Viel Glück für den echten Weg zurück, Johannes, in ein Leben in dem die alleinige Identifikation mit der sportlichen Biografie Geschichte ist.

Liebe Frau Winkens

Liebe Frau Winkens

Liebe Frau Winkens,

zuallererst möchte ich Ihnen mein Mitgefühl ausdrücken, für die sexuelle Gewalt, die Ihnen als junger Frau angetan wurde. Es ist mutig, darüber zu reden, egal zu welchem Zeitpunkt.

Warum erst jetzt?

Möglicherweise wird Ihnen die Frage erspart bleiben, die mir und vielen anderen Betroffenen dauernd gestellt wird: „Warum erst jetzt?“ Sie haben ja ein Motiv geliefert, das für viele Menschen plausibel klingt. Ich habe darüber nachgedacht.

Zuerst mein Motiv

Ich habe ‚meine Geschichte‘ öffentlich erzählt, als ich für mich empfunden habe, dass es jetzt reicht. Dass im Sport und in anderen Systemen Machtverhältnisse aufrecht gehalten werden, die unter anderem sexuelle Gewalt ermöglichen.

‘You have to use your privilege to serve other people’
Tarana Burke

#MeToo

Von #MeToo und Tarana Burke wusste ich noch nichts, als ich den Beschluß fasste ein Tabuthema laut auszusprechen. Nachträglich habe ich dann mehr erfahren. Über das Motiv und die Initiatorin der MeeToo Bewegung. Mich bewegen ähnliche Gefühle.

Die Geschichte eines Mädchens

Alles begann lange vor dem Weinstein-Skandal – mit der Geschichte eines kleinen Mädchens.1996, als Burke als Jugendcamp-Leiterin arbeitete, hat sich ihr ein Mädchen anvertraut und vom Missbrauch durch den Freund ihrer Mutter erzählt.

„Ich sah ihr dabei zu, wie sie wie sich von mir entfernte, wie sie versuchte, ihr Geheimnis wieder einzufangen und in ihr Versteck zurückzulegen. Ich sah, wie sie ihre Maske wieder aufsetzte und wieder in die Welt hinausging, als sei sie ganz allein – und ich fand nicht einmal die Kraft um ihr zuzuflüstern: Me too.“
Tarana Burke

Scham und Angst

Inzwischen haben sich mir viele Menschen anvertraut. Frauen und Männer, die zum ersten Mal über schlimme Erfahrungen mit sexueller Gewalt reden konnten. Einige haben vierzig, fünfzig Jahre ganz alleine mit traumatischen Erinnerungen zugebracht; aus Scham und Angst vor gesellschaftliche Ächtung.

Es geht um die Zukunft

Andere haben ihre Erfahrungen, so wie ich, schon längst überwunden. Wut und Selbstzweifel haben dem inneren Frieden Platz gemacht. Die Opferrolle ist dem Gefühl einer liebevollen Partnerschaft gewichen und gegen die Rolle als Eltern und Großeltern getauscht.

Das Motiv, berühmte Namen preiszugeben und damit die heile Welt von Sport, Kunst, Kultur und Religionen in Frage zu stellen, hat bei uns allen nichts mit Rache zu tun.

Es geht uns allen gemeinsam um die Aufarbeitung der Vergangenheit in Systemen um dadurch einen Paradigmenwechsel für die Zukunft der Nachfolgegenerationen zu ermöglichen.

Liebe Frau Winkens

Über Ihr im News Interview geäußertes Motiv habe ich mich gewundert. Ich habe mich gefragt ob Sie den Sinn von MeToo nicht verstanden haben. Dass #MeToo kein Pranger ist. Dass es vergleichsweise wenige Kollateralschäden gibt, gegen die positiven Effekte für unzählige Betroffene. Dass daraus eine veränderte Wahrnehmung entsteht, die präventiv wirkt.

Schuldfragen klärt der Rechtsstaat

Ich finde es durchaus wichtig, dass man Männer nicht pauschal unter Verdacht stellt. Ich halte es für falsch, Beschuldigte vor der Klärung durch rechtsstaatliche Verfahren freizusprechen oder zu verurteilen.

Wenn man nicht direkt betroffen ist oder als Zeugin oder Zeuge eine direkte Wahrnehmung von Vorfällen hat und Partei ergreift, macht man nichts anderes als Menschen an den Pranger zu stellen – entweder mutmaßliche Opfer oder mutmaßliche Täter.

Die Schuldfrage im von Ihnen genommenen Anlaßfall für Ihr Outing, wird am Rechtsweg geklärt werden. Stellen wir versuchsweise eine ganz andere Frage, die alle etwas angeht: Wie kommt ein Aufnahmeprotokoll von einer Anzeige bei der Polizei in die Redaktion eines Boulevardblatts?

Machtmissbrauch im System

Machtmissbrauch im System

Franziska Fuchs ist das Pseudonym einer Frau, die in der Öffentlichkeit anonym bleiben will. Sie hat ‚ihre Geschichte‘ von der Vergewaltigung durch Toni Sailer dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel erzählt. Wie im Jänner schon, als ein Journalistenkollektiv neue Fakten zum Akt Sailer aus dem Jahr 1974 veröffentlichte, gehen auch diesmal die Emotionen hoch. Es wird gemutmaßt und verurteilt. Im Zusammenhang mit sexueller Gewalt im Sport steht aber eines Fest: Die Hauptschuld trägt der Machtmissbrauch im System

Franziska hat mich im Frühling 2018 kontaktiert. Sie möchte mit mir reden. Nicht am Telefon, ob wir uns treffen können? Wir trafen uns und was sie mir anvertraute, hat mich betroffen gemacht wie kein anderes Gespräch über sexuelle Gewalt zuvor.

Vergewaltigt mit vierzehn

Der Spiegel hat darüber berichtet, wie ein 14 jähriges Kind von Toni Sailer mit einer Autogrammkarte am 26. Jänner 1975 im Quartier der österreichischen Mannschaft ins Hotelzimmer gelockt wurde. Wie zunächst eine Vergewaltigung versucht wurde. Das Mädchen dann im Zimmer eingeperrt war um später von einem 40 jährigen Nationalhelden brutal missbraucht zu werden.

Glaubwürdige Schilderung

Ich habe keine Sekunde an Franziskas Schilderung gezweifelt. Die Zusammenhänge hätte allenfalls jemand aus dem näheren Umfeld des Skizirkus konstruieren können, nicht aber ein Mädchen, das als Skifan zur falschen Zeit am falschen Ort war.

Warum erst jetzt?

Es war ein Gespräch unter heute reifen Frauen, über kindliche Ratlosigkeit, Schuldgefühle, Scham und wie Franziska dadurch schwer krank wurde. Sie hat sich noch als Jugendliche einem Therapeuten anvertraut. Er hat ihre tiefe seelische Verletzung als Jungmädchen-Phantasie abgetan. Danach hat sie geschwiegen.

Ich erzählte meine Geschichte und sagte: ich wurde vergewaltigt. Habe auch den Namen dazugesagt. Der Arzt hörte zu, schluckte und meinte anschließend, ob ich mir sicher bin, denn er glaube, das ist nur ein Jungmädchentraum.
Originalzitat FF

Einige Wochen vor unserem Treffen habe ich für den Kurier einen Gastkommentar geschrieben. Die Wogen gingen in Österreich hoch, weil ein Journalistenkollektiv von Der Standard, Dossier und Ö1 den ‚Akt Sailer‘ erneut ausgegraben hat, nachdem der Fall 1974 im Stern bereits Thema war und erfolgreich verdrängt wurde.

Wir reisten damals auch in den „Ostblock“. Dort hörte ich von günstigen Quellen für Kaviar, Krimsekt & „Nutten“. In den Hotels der Nomenklatura herrschte Ausnahmezustand, auch für die Grundwerte des Marxismus. In diesem Ambiente war vieles möglich. Sogar das Unvorstellbare, das 1974 über Toni Sailer im „Stern“ erstmals in den Fokus der Öffentlichkeit geriet. Der junge Journalist Bernd Dörler hatte akribisch recherchiert und mit viel Mut über weitreichende Zusammenhänge berichtet.

Schon damals stand weniger die mögliche Straftat von Sailer im Mittelpunkt. Es war das diplomatische Zusammenspiel, das politische Kalkül zweier Regierungen. Das hätte man ernst nehmen müssen und nicht zensieren. Als Mitglied des Skiteams, wusste ich nicht was ich glauben soll. Es kursierten viele Geschichten und Gerüchte. Die Version vom Skiverband wurde zur Norm, der Journalist zum Schwein erklärt. Somit war das Thema tabu.

„Der wahre Skandal wird sichtbar“
Nicola Werdenigg, Gastkommentar Kurier

Das Opfer des Systemversagens hat ein Gesicht

Nachdem Franziska mir ‚ihre Geschichte‘ erzählt hatte, bekam ein Opfer des Systemversagens ein Gesicht, das die Person Toni Sailer und mutmaßlichen Taten noch mehr in den Hintergrund gedrängt hat. Sailer wäre am 17. November 83 Jahre alt geworden, 2009 ist er gestorben. Das System, das zumindest ein mutmaßliches zusätzliches Verbrechen möglich gemacht hat, erfreut sich eines blühenden Lebens.

Aus der Vergangenheit nichts gelernt

Männerbünde bestehend aus Sportfunktionären und Politikern verhinderten die Aufklärung einer schweren Anschuldigung. Sie setzten sich über Gesetze und Rechte jeder Art hinweg. Namhafte aktive Politiker haben aus der Vergangenheit nichts gelernt. Sie kritisierten im Jänner 2018 die Veröffentlichung der Recherchen.

Machtmissbrauch im System

Anstatt die Vertuschungsvorgänge, die sich damals zugetragen haben, zu untersuchen und offenzulegen, setzen sie die alte Maschinerie erneut in Gang. Der Skiverband ist bis heute nicht bereit, Verantwortung zu übernehmen, wie sich im Fall des jüngst wegen sexueller Übergriffe verurteilten Skitrainers zeigt. Auch hier ist nicht die Tat der Skandal. Es ist die Selbstverständlichkeit, mit der die hoffnungsvolle Sportkarriere eines Jugendlichen ruiniert wurde.

Es geht (was) weiter

Wir sind im Jahr 2018 und ein knappes Jahr nach dem Machtmissbrauch im Sport ein öffentliches Thema wurde einen kleinen Schritt weiter aber noch längst nicht am Ziel. Es werden sich weiter Betroffene melden, Gerichte werden entscheiden und irgendwann wird es nicht mehr möglich sein, sich herrisch abzuputzen und die Zuständigkeit zu leugnen.

Es geht um die Zukunft

Einige Gespräche mit hochrangigen Sportfunktionären, die das schon erkannt haben, machen Mut. Die Alten Herren, die sich um die Zukunft der Nachfolge-Generationen keine Gedanken machen, werden von immer mehr Menschen nicht mehr ernst genommen. Vor allem dann, wenn sie sich hinter der Entrüstung über späte oder gar posthume vermeintliche Rufschädigung von Sportlegenden verstecken.

Nachlese – wie alles begann

Chronologie in ausgewählten Artikeln

„Es gab Übergriffe. Von Trainern, Betreuern, Kollegen“
Der Standard, 20. 11. 2017

Schwerpunkt Übergriffe im Sport
Der Standard

Der Akt Toni Sailer
Dossier 17.01.2018

„So, heut‘ kommst du dran!“
Süddeutsche Zeitung – 8. Februar 2018, Missbrauchsvorwürfe in Österreichs Skisport

„Toni Sailer war ein Nationalheld. Ich war 14“
Der Spiegel, 19. Oktober 2018

14 Merkmale des Faschismus

14 Merkmale des Faschismus - Mural of the painting "Guernica" by Picasso via Wikimedia Papamanila CC BY-SA 3.0

Beim Abendessen mit Kindern und Enkelkind, tauchte kürzlich das Thema auf ob sich unsere Nachfolge-Generationen auch einmal fragen würden, ob wir Eltern, Großeltern „das nicht gewußt hätten“. Es ging um Nachhaltigkeit und politische Entwicklungen. Das hat mich nachdenklich gemacht; besonders über den Weg, den Europa und sehr ausgeprägt die Österreichische Regierung gerade eingeschlagen hat. Bei meinen Recherchen über Faschismus stiess ich auf Lawrence Britt, er hat in einer Dystopie 14 Merkmale des Faschismus aufgelistet.

Lawrence Britt

Lawrence Britt schrieb einen Artikel über Faschismus („Fascism Anyone?,“ Free Inquiry, Spring 2003, page 20). Er verglich Tendenzen im Dritten Reich mit Mussolinis Italien, Francisco Francos Spanien, Antontio de Oliveira Salazars Portugal, George Papadopoulos‘ Griechenland, Pinochets Chile und Mohamed Suhartos Indonesien. Wenig Später kursierte unter dem Pseudonym Dr. Laurence W. Britt ein stark modifizierter Artikel im Web. Britt selbst bezeichnet seinen Text als ‚cautionary tale‘ und nicht als wissenschaftliche Arbeit.

My article is a cautionary tale. This is what I’ve researched; this is what I’ve seen; this is what’s happened in the past. You can draw your own conclusions: No, this has nothing to do with the United States; or, there are some disquieting trends here that we certainly have to be aware of, and the powers that be exhibit many of these characteristics, and we’d better damn well be careful.
Lawrence Britt, Rochester City Newspaper, December 2004

14 Merkmale des Faschismus

Ein Plakat dieser Liste wurde 2017 im Holocaust-Museum in der US-Hauptstadt Washington verkauft. Ein Foto davon wurde via Social Media tausendfach geteilt. Viele Menschen fühlen sich offenbar an das heutige gesellschafts-politische Klima erinnert.

  1. Starker und anhaltender Nationalismus
  2. Missachtung der Menschenrechte
  3. Gemeinsames Feindbild wird geschaffen
  4. Militärregierung
  5. Sexismus
  6. Kontrollierte Massenmedien
  7. Fokussierung auf Nationale Sicherheit
  8. Verknüpfung von Staat und Religion
  9. Unternehmensleitung wird beschützt
  10. Unterdrückung der Arbeitskräfte
  11. Missachtung von Intellektuellen und Geisteswissenschaften
  12. Fokussierung auf Kriminalität und härtere Haftstrafen
  13. Korruption und Vetternwirtschaft
  14. Manipulierte Wahlen

Faschismustheorien in der Wissenschaft

Wie schon erwähnt, bezeichnet Britt sein Werk nicht als wissenschaftliche Arbeit sondern als warnendes Beispiel. Wissenschaftliche Theorien, die das historische Phänomen des Faschismus in seinen wesentlichen Merkmalen und Ursachen zu beschreiben und zu erklären versuchen, existieren aus unterschiedlichen Perspektiven.

In den Geschichts- und Sozialwissenschaften wurden dazu verschiedene theoretische Ansätze entwickelt, die sich vor allem in der Einschätzung unterscheiden, welche Merkmale faschistischer Bewegungen als charakteristisch beziehungsweise paradigmatisch anzusehen sind, und welche gesellschaftlichen und historischen Faktoren zur Entstehung dieser Bewegungen geführt haben.
[av_font_icon icon=’ue835′ font=’entypo-fontello‘ style=“ caption=“ link=“ linktarget=“ size=’15px‘ position=’left‘ color=“ admin_preview_bg=“][/av_font_icon]Mehr dazu auf Wikipedia

Umberto Eco über Ur-Faschismus

Am 22. Juni 1995 veröffentlichte Umberto Eco in der New York Review of Books den Artikel Ur-Facscism mit 14 Punkten, woran man die Urform des Faschismus erkennen kann.

  1. Kult der Überlieferung
  2. Ablehnung der Moderne
  3. Kult der Aktion um der Aktion willen: „Denken ist eine Form der Kastration. Darum ist Kultur suspekt, sobald und soweit sie mit kritischen Haltungen identifiziert wird. Mißtrauen gegenüber der intellektuellen Welt war stets ein Symptom des Ur-Faschismus“.
  4. „In der modernen Kultur preist die wissenschaftliche Gemeinschaft den Dissens als ein Mittel zur Vermehrung des Wissens. Für den Ur-Faschismus ist Dissens Verrat.“
  5. „Der Ur-Faschismus wächst und sucht sich Konsens, indem er die natürliche Angst vor dem Andersartigen ausbeutet und vertieft … Daher ist der Ur-Faschismus per definitionem rassistisch.
  6. Appell an die frustrierten Mittelklassen
  7. Obsession einer Verschwörung
  8. „Die Anhänger müssen sich vom offen gezeigten Reichtum und der Stärke ihrer Feinde gedemütigt fühlen … Die Anhänger müssen jedoch auch überzeugt sein, daß sie die Feinde besiegen können. So kommt es, daß die Feinde durch eine ständige Verlagerung des rhetorischen Brennpunkts gleichzeitig zu stark und zu schwach sind.“
  9. Armageddon-Komplex: „Da die Feinde besiegt werden müssen und können, muß es einen Endkampf geben, nach dem die Bewegung die Weltherrschaft antreten wird. Eine solche ‚Endlösung‘ impliziert jedoch eine anschließende Zeit des Friedens, ein goldenes Zeitalter, das im Widerspruch zum Prinzip des permanenten Krieges steht. Keinem faschistischen Führer ist es gelungen, diesen Widerspruch zu lösen.
  10. Gefühl einer Massenelite
  11. Erziehung zum Heldentum
  12. „Machismo (der nicht nur Frauenverachtung bedeutet, sondern auch Ablehnung und Verurteilung aller nicht zum Standard gehörigen Sexualgewohnheiten, von der Keuschheit bis zur Homosexualität)“
  13. Qualitativer Populismus: „In Demokratien haben die Bürger individuelle Rechte, aber politischen Einfluß können sie nur gemeinsam unter einem quantitativen Gesichtspunkt ausüben – die Mehrheit entscheidet. Für den Ur-Faschismus dagegen haben Individuen als Individuen keinerlei Rechte, während das ‚Volksganze‘ als eine Qualität begriffen wird, eine monolithische Einheit, die den gemeinsamen Willen aller zum Ausdruck bringt … In unserer Zukunft bietet sich ein TV- oder Internet-Populismus an, bei dem die emotionale Antwort einer Gruppe ausgewählter Bürger als ‚Stimme des Volkes‘ präsentiert und akzeptiert werden kann.“
  14. Newspeak nach dem Modell von Orwells „1984“: „Wir müssen uns bereit halten, auch andere Formen von Newspeak zu identifizieren, selbst wenn sie die unschuldige Form einer populären Talkshow annehmen.“

Ob und wie Lawrence Britt durch die 14 Punkte von Eco inspiriert wurde, sei dahingestellt. Eco Jahrgang 1932 und aufgewachsen in der Zeit des Mussolini-Faschismus, erinnert sich im Artikel an seine Kindheit. Unter anderem an den Tag als er erstmals eine Vielzahl an Zeitungen vorfand und nicht die Einheitspresse.

Am 7. Juli 1995 erschien auch eine Übersetzung des Artikels von Eco in ‚DIE ZEIT‘, der im Archiv zur Gänze zu lesen ist. Eine Empfehlung für alle, die sich mit diesem Thema näher auseinander setzen möchten.
[av_font_icon icon=’ue835′ font=’entypo-fontello‘ style=“ caption=“ link=“ linktarget=“ size=’15px‘ position=’left‘ color=“ admin_preview_bg=“][/av_font_icon]Urfaschismus – Umberto Eco – DIE ZEIT Nr. 28/1995

Das Leben ist nicht so einfach. Der Ur-Faschismus kann in den unschuldigsten Gewändern daherkommen. Es ist unsere Pflicht, ihn zu entlarven und mit dem Finger auf jede seiner neuen Formen zu zeigen – jeden Tag, überall in der Welt.
Umberto Eco

Warum erst jetzt?

Warum erst jetzt? Die häufigste Frage an Betroffene sexualisierter Gewalt, die sich entschlossen haben endlich zu reden.

Im November 2017 bin ich knapp 40 Jahre nach dem Ende meiner Skikarriere mit meinen persönlichen Erfahrungen sexualisierter Gewalt im Sport an die Öffentlichkeit gegangen. Seither hat sich viel getan. Betroffene aus vielen Sport- und anderen Lebensbereichen haben den Mut gefunden zu reden. Bei vielen liegen die schlimmen Erlebnisse lange zurück, ebenso wie bei mir.  Die häufigtste Frage, die allen gestellt wird: Warum erst jetzt?

Es war kein Fremder

Wenn mich auf der Prater-Hauptallee jemand Wildfremder überfallen würde, dann wäre sofort klar: Das zeige ich an.

Aber wenn es im unmittelbaren sozialen Umfeld passiert, fällt einem die Orientierung so schwer: Was tue ich jetzt? Das war ja nicht der unbekannte Fremde, der dich irgendwo von der Straße in ein Hauseck reinzieht, das war das unmittelbare soziale Umfeld, das Umfeld, in dem sich auch alle meine Freunde befanden.

Anzeige undenkbar

Das ist so, als ob es in der Familie passiert – dann ist das Ganze, noch einmal schwieriger. Mein privates Milieu, mein familiäres Milieu und das sportliche, das war im Grunde genommen alles ein einziges Gefäß. Ich war etwa 18 Jahre alt, da habe ich es gegenüber einer Freundin verbalisiert, sie war ganz betroffen. Sie kam auch aus diesem Umfeld – doch das dann auch anzuzeigen, ist uns damals beiden nicht in den Sinn gekommen. Das war aus dem Milieu und der Zeit heraus absolut keine Denkkategorie.

In den ersten Jahren waren es die Scham und die Angst, stigmatisiert zu werden und die Sportkarriere aufgeben zu müssen. In den 1970er-Jahren haben vergewaltigte Frauen vor Gericht selten recht bekommen.

Vorläufig verdrängt

Als ich meinen Mann kennenlernte, wollte und musste ihm davon sofort erzählen. Ich stellte mir ja auch die Frage: Bin ich noch liebenswert? Kann mich nach so etwas überhaupt noch jemand lieben? Und er hat so reagiert, dass uns danach 35 Jahre wunderbarer Partnerschaft möglich waren. Und dann waren bald drei kleine Kinder da, die Erlebnisse wurden in den Hintergrund gedrängt. In der jungen Familiensituation und wirtschaftlichen Aufbauphase war es undenkbar, meine Geschichte öffentlich zu machen.

Endlich abgeschlossen

In den Siebzigern, Achtzigern konnte man am Land auch nicht zu einem Psychologen gehen, ohne für verrückt gehalten zu werden. Erst etwa zwanzig Jahre später, als ich schon in Wien lebte, bin ich eigentlich wegen etwas ganz anderem zur Therapie gegangen. Da ist das dann ziemlich schnell hochgekommen. Dann lag mit einem Mal der Ursprung des Problems da, und dieser Zustand war ungeheuer erleichternd. Erst ließ ich die Wut heraus, dann war sie weg und ich mit meinem Schicksal versöhnt.

Wenn sich jemand an mich wendet und um Rat fragt, sage ich:

„Schließ es bitte zuerst für dich selber ab. Schau, dass die Wut weg ist, bevor du weitere Schritte unternimmst, geh ein, zwei Schritte zurück -such nach persönlichen Zusammenhängen und nach strukturellen Zusammenhängen. Kläre es erst mit dir selbst, bevor du dich öffentlich äußerst.“

Warum erst jetzt?

Auszüge aus meinem Buch – SKI MACHT SPIELE

Er war ein Volleyballtrainer. Es war im Mai 2017, als die Presse von einem 60-Jährigen berichtete, der wegen des Verdachts auf schweren sexuellen Missbrauch von Unmündigen, Missbrauch eines Autoritätsverhältnisses und Herstellung von Kinderpornografie festgenommen worden war. 57 mutmaßliche Opfer hatten sich gemeldet. Die Medien setzten sich nur spärlich mit dem Fall auseinander – bis das Interesse schließlich ganz versiegte.

Mein erstes Enkelkind sollte im Sommer zur Welt kommen, und ich fand, es sei höchste Zeit, etwas gegen Machtmissbrauch im Sport zu unternehmen. Von der #MeToo-Bewegung, die bereits 2006 von der Frauenrechtsaktivistin Tarana Burke in den USA gegründet worden war, wusste ich damals noch nichts. Meine Idee, anhand meiner eigenen Erlebnisse im Umfeld des Skisports ein erhöhtes Bewusstsein für eine Problematik, die so viele betrifft, zu schaffen, schien mir einen Versuch wert.

Jetzt bin ich zur Triggerin geworden – für individuelle Ängste auf allen Seiten der Betroffenheit.

Die einen fühlen ihre Geheimnisse als Opfer, Zeugen oder als Täter enttarnt. Für viele andere bin ich so was wie eine große Schwester geworden, sie vertrauen mir „ihr Geheimnis“ an – Opfer, Zeugen, und nein, bisher waren keine Täter dabei. Viele Männer – und das macht echt Mut – wollen sich neu orientieren und stellen Fragen, wie ich als Frau männliches Verhalten empfinde.

Alles war richtig – auch der Zeitpunkt

Ich habe das Richtige getan. Daran hatte ich zu keinem Zeitpunkt Zweifel. Ich habe den Schritt vom Opfer zu einer nicht leidenden Betroffenen längst vollzogen. Es wurden keine alten Wunden aufgerissen, ich habe emotional mit den Vorfällen abgeschlossen. Ich arbeite daran alles mir Mögliche gegen Machtmissbrauch im Sport zu unternehmen. Diese geradezu selbstverständlichen Übergriffe konnten und können nur in Strukturen passieren, die in sich geschlossen sind.

#WeTogether

Der Sport und gerade der Sport der Nachkriegszeit hat diese Auswüchse begünstigt. Mit seinen Idolen, mit seinen Inszenierungen, mit der Verflechtung zwischen Politik und Sport. Insbesondere der Skisport, der zur nationalen Angelegenheit erhoben wurde, könnte gerade jetzt einen Weg einschlagen, der gesellschaftspolitisch richtungsweisend ist.

#WeTogether – Wir alle gemeinsam gegen Missbrauch von Macht!

Um einen authentischen Frage/Antwort-Stil zu erzielen, wurden Textpassagen aus Interviews entnommen

[av_font_icon icon=’ue835′ font=’entypo-fontello‘ style=“ caption=“ link=’manually,https://www.news.at/a/nicola-werdenigg-meine-ganze-geschichte-8571029′ linktarget=’_blank‘ size=’25px‘ position=’left‘ color=“ admin_preview_bg=“][/av_font_icon]

Meine ganze Geschichte – NEWS 17. Dezember 2017 mit David Pesendorfer

[av_font_icon icon=’ue835′ font=’entypo-fontello‘ style=“ caption=“ link=’manually,https://derstandard.at/2000073913818/Nicola-Werdenigg-Aus-einem-Schneeball-wurde-eine-Lawine‘ linktarget=’_blank‘ size=’25px‘ position=’left‘ color=“ admin_preview_bg=“][/av_font_icon]Wie aus einem Schneeball eine Lawine wurde – Der Standard 9. Februar 2018 mit Philip Bauer

[av_font_icon icon=’ue835′ font=’entypo-fontello‘ style=“ caption=“ link=’manually,Der Mensch ist Material‘ linktarget=’_blank‘ size=’25px‘ position=’left‘ color=“ admin_preview_bg=“][/av_font_icon]Der Mensch ist Material 22.3.2018 profil mit Edith Meinhard

Rechtsaussen – eine Position bei Winterspielen

Rechtsaussen - Nationalismus im Sport

Während Romantiker der verklärten Vorstellung vom völkerverbindenden Sport nachhängen, zeigt sich auf Sportstätten und Nebenschauplätzen ein anderes Bild. Die gegenwärtige Struktur des internationalen Spitzensports scheint eher nationalistische und ethnozentrische Tendenzen zu begünstigen als zu ihrem Abbau beizutragen. Ist Rechtsaussen, auch eine Position bei Winterspielen?

Spieglein, Spieglein

Am Ende der Olympischen Spiele kommt dem „Medaillenspiegel“ viel Aufmerksamkeit zu. Dabei sagt er über den sportlichen Erfolg sehr wenig aus. Eine Nation, die nur eine Goldmedaille holt, landet vor einer, die zehnmal Silber schafft. Zehn vierte Plätze werden im National-Ranking gar nicht beachtet. Einige meinen deshalb man solle ein Punktesystem einführen, andere wollen eine Relation herstellen: Medaillen in Beziehung zur Einwohnerzahl eines Landes, zum Bruttonationalprodukt oder zur ökologischen Nachhaltigkeit.

Probleme in Kernsportarten

Derlei Überlegungen interessieren den gelernten österreichischen Sofa-Sportler nicht, solange die Medien mit irgendeiner Statistik titeln können. Und wieder einmal sind es die Skifahrer, die glänzen: „Österreich ist erfolgreichste Alpin-Nation bei diesen Spielen“. Das verklärt den Blick auf die Realität, in einigen Kernsportarten gibt es massive Probleme. Österreich liegt in der Gesamtwertung auf Rang 10.

Friluftsliv contra Leistungswahn

Die Ausrede  – „Austria is a too small country.“ – kann hier nicht angebracht werden; hat Norwegen doch noch weniger Einwohner als „wir“ und steht trotzdem einsam an der Spitze der olympischen Edelmetall-Charts 2018. Ein Grund dafür könnte darin liegen, dass in Norwegen Bewegungskultur stark im Bewusstsein der Menschen verankert ist. Friluftsliv heissst die norwegische Outdoor-Philosophie, sie wird staatlich gefördert und mit ihr ein kulturelles Erbe und Identifikationsmerkmal der Norweger.

Nationalsport, der keiner ist

Wenn jemand „wir“ sagt und damit „Österreich“ meint, identifiziert er sich gerne mit populären Sportarten und deren berühmten Vertretern. Dem Skisport kommt dabei eine bedeutende Rolle in der Entwicklung der nationalen Identität zu. Wenn die Sonne das ÖSV Team bescheint, bescheint sie damit auch die ganze Nation. Skifahren gehört ja vermeintlich zur genetischen Grundausstattung der Österreicher, obwohl gerade einmal 40% der Bevölkerung Skifahrer sind.

Nationalismus mit Wurzeln im Sport

Dass sich aus der Identifikation mit den Nationalhelden – besonders in Zeiten sportlicher Großereignisse – überzogener Nationalismus ableitet, ist Fakt. Die Geschichte des Nationalismus ist stark mit dem Sport verwoben ist. „Turnvater“ Jahn schuf bereits vor 200 Jahren eine nationalistische Sportumgebung. Rund 100 Jahre später führte der Deutsche Alpenverein den Arier-Paragraphen ein. 1923 wurde er in die Verbands-Statuten des Österreichischen Skiverbands aufgenommen.

Gesunder Patriotismus?

Wir erinnern uns: während des NS Regimes durften Menschen wegen ihrer Religions- und Ethnien-Zugehörigkeit nicht an olympischen Spielen teilnehmen. Das ist zum Glück momentan nicht denkbar, doch die nationalistischen Tendenzen sind klar vorhanden auch wenn sie sich hinter dem „gesunden Patriotismus“ verbergen.

Beispiel auf Facebook:
Jüngst freute ich mich über die aussergewöhnliche Performance, von Etser Ledecká, Siegerin im Super-G bei den Alpinbewerben und auf Goldkurs auch am Snowboard. Sie stammt aus Tschechien. Deshalb wurde mit mangelnder Patriotismus vorgeworfen.


Abkehr vom nationalistischen Sport

Wir brauchen keinen gerechteren Medaillenspiegel, sondern eine Abkehr von der nationalistischen und anderweitig politischen Ausschlachtung des Sports. Entweder es geht um die Sache oder um Nationalismus, Macht und Kommerz. Sportlerinnen und Sportler sollen interessieren, weil sie gut sind, und nicht, weil sie aus einem bestimmten Land kommen – finde ich.

SKI MACHT SPIELE

Ski Macht Spiele - Nicola Werdenigg, Leykam Verlag März 2018

Mein Slalom auf 64 Seiten durch den Bruchharsch der Skilandschaft Österreichs, mit kurzen Ausflügen nach „Meinerzeit“, machte auch etliche Spitzkehren erforderlich.

Skirennsport in Österreich heißt:
Idole, Inszenierungen, Mythen, Selbstbestätigung und kollektive Identität.

Skirennsport in Österreich heißt aber auch: Verflechtungen mit Politik und Medien, Machtmissbrauch, Erniedrigung, Übergriffe und sexualisierte Gewalt.

Nicola Werdenigg zeigt die Abgründe und Zwielichtigkeiten des Systems „Ski in Österreich“ auf – mit dem Ziel, sich der Geschichte zu stellen, die dunklen Seiten zu sehen und aufzuklären. Damit alle sich mit der Vergangenheit versöhnen, gemeinsam einen Weg finden und die Wahrheit ans Licht bringen können – im Sinne der Jugend, des Sports und der ganzen Gesellschaft:

Gegen den Missbrauch von Macht – #WeTogether!

 

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PatEx – Den Menschen die Welt erklären

Patex - Patriarchalische Experten

Wenn Männer den Frauen die Welt erklären, weil sie glauben es besser zu wissen, wird das mit einem Wort zusammengefasst: ‚Mansplaining‘, das Portmanteauwort aus „man“ und „explaining“ wird im Oxford English Dictionary definiert als „jemandem etwas auf eine als herablassend oder bevormundend empfundene Weise erklären, typischerweise ein Mann gegenüber einer Frau“. Dieses Typischerweise gilt es zu hinterfragen. Am Ende finden wir vielleicht einen neuen Begriff der so universal pickt wie Patex.

Men explain Things to me

Die Urheberschaft von #Mansplaining wird der Autorin Rebecca Solnit zugeschrieben. Ihr, 2008 in der Los Angeles Times erschienener Essay „Men Explain Things to Me“, wurde zum erfolgreichen Sachbuch. Das Wort ‚Mansplaining‘ kommt aber im ursprünglichen Essay nicht einmal vor. Solnit lieferte nur die Definition als sie von einem Erlebnis berichtete.

Das eigene Werk erklärt bekommen

Es war in Aspen nach der Jahrtausendwende. Ein älterer Herr klärte Solnit über ein Buch auf. Er legte ihr langatmig dar, warum sie es unbedingt lesen solle. Dabei liess er sich durch nichts unterbrechen. Dumm gelaufen: Das Buch war von Solnit selbst verfasst worden. Das soll dem Mann aber nicht wirklich peinlich gewesen sein, schreibt Solnit.

Der Skipapst

Stefan Kruckenhauser & Nicola Werdenigg
Mit Kruck in Colorado, 1968

Es war ebenfalls in Aspen und im Jahr 1968. „Professor“ Kruckenhauser trug dem Auditorium des Weltkongress für Skilehrwesen – kurz Interski genannt – seinen Zugang zum einzig wahren Skifahren vor.Ich war Neun und fasziniert von seinen rhetorischen Fähigkeiten, gleichzeitig zu zeichnen und mit Witzen sein Publikum zu fesseln.

Seine ersten Striche auf der leeren Tafel skizzierten einen Busen. Damit hatte er sich die uneingeschränkte Aufmerksamkeit, der vorwiegend männlichen Skilehrerschaft gesichert.

Aus der Busen-Skizze wurde eine Darstellung des Schwerpunkts beim Wedeln, die der Physiker Fritz Baumrock unter ‚Poldi Huber Biomechanik‘ einreihte. Als Kind wurde mir vermittelt, dass Kruckenhauser wichtiger war als alle anderen Schneemänner zusammen. Seine Wichtigkeit unterstrich er selbst; indem er anderen Experten Unwissenheit unterstellte.

Er machte sich wichtiger

Kruckenhauser:
„In steter Sorge aktuelle Probleme der Skitechnik und -methodik aufzugreifen und Lösungen zur Diskussion zu stellen, demonstrierte ich in Aspen die reformierte „Grundschule“. Kein auffallendes Thema und daher ein Wagnis, denn fast alle Nationen versuchten mit spektakulären Kapiteln der Oberstufe, mit der ‚Show‘ zu imponieren.“

Den Kindern die Welt erklären

Mir war das manieristsiche Gewedle der Keilhosenträger immer suspekt. Wie ich mich besser durch den Wald und Bruchharsch bewegte, fand ich mit kindlichem Gespür von alleine heraus. Dass wir in der Interski-Kindergruppe Kruckenhausers Technikvorstellungen gut ausführen konnten, lag am natürlichen Können. Das hatten wir alle in der winterlichen Baumschule schon lange erworben, bevor wir am Arlberg für die Rockies gedrillt wurden. Trotzdem hat niemand von uns je die Wichtigkeit von Kruckenhauser in Frage gestellt.

Kein universieller Makel von Männern

Männer erklären Frauen die Welt, auch wenn die Frau mehr darüber weiß. Mit meiner Berufspraxis in vielen Sparten der männlich dominierten Skiwelt kommt mir das bekannt vor. Ich schliesse mich Solnit an, wenn sie darauf hinweist, dass „Mansplaining“ kein universeller Makel eines Geschlechts ist, sondern nur die Kreuzung von übertriebenem Selbstbewusstsein und Ahnungslosigkeit, an der ein Teil dieses Geschlechts stecken bleibt.

‚Wir‘ Ski-Experten

In das Skisystem wurde ich hineingeboren und wuchs in der elterlichen Skischule auf. Ich bin Rennläuferin gewesen und habe Ski entwickelt. In meiner Skischule habe ich meine eigene Methodik und Didaktik etabliert. Mehrere Tausend Menschen haben mir vertraut, als sie mit mir den Einstieg oder Umstieg zur dynamischen Skitechnik suchten. Ich fand und finde mich oft in Situationen, in denen mir Leute erklären wie Skifahren geht. Die einen sind vor zig Jahren ein-, zweimal zum Ferialjob als Skilehrer angetreten, die anderen im Skiurlaub bei Gästerennen. Viele sind Männer aber nicht alle.

Eine grundlegende Frage

Solnit im ZEITmagazin:
„Mich interessiert, wie bestimmte Annahmen – ich bin wichtiger, meine Rechte sind größer als deine, ich verdiene mehr Platz – dazu führen, dass ich jemanden bei einer Konferenz oder am Esstisch nicht zu Wort kommen lasse, und ebenso dazu, dass ich noch schlimmere Dinge tue, um jemanden um sein Recht zu bringen.“

Aktuell geht es in meinem Leben sehr stark um die Ursachen von Machtmissbrauch in Systemen im Sport und im Prinzip. Bei jeder Gelegenheit unterstreiche ich diesen Aspekt für mein Tun. Oft finde ich mich sprachlos mit Experten an den Stammtischen im Beisl oder im Internet. Sie wollen mir meinen Weg erklären, wie jüngst ein Bekannter auf meiner Timeline in Facebook.

Ich schrieb über sexistische Sprache, er meinte ich solle bei meinem Thema bleiben:

W auf Facebook:
das geht in die falsche Richtung!!!!! zwischen „schwul foarn“ und der Sauerei vom Toni Sailer oder Charly Kahr als pubertierendes Pummale vergewaltigt zu werden ist der größte mögliche Unterschied bei dem sich schon die „Tschenderei“ verlaufen hat, und verwässert damit das eigentliche Verbrechen! Bleib drauf am Thema und verzettel dich nicht.

Selbstüberschätzung & Ahnungslosigkeit

Zwei Psychologinnen – nicht ‚getschendert‘, es sind wirklich Frauen – im Auftrag des Skiverbands unterwegs, haben jüngst versucht mir meinen Platz in meinem eigenen Institut, ja sogar in meiner Entwicklung streitig zu machen. Frau Wimmer-Puchinger behauptete in einer Tageszeitung , ich hätte eine „Plattform für Betroffene“ gegründet. Tatsächlich haben wir ein Institut zur Prävention von Machtmissbrauch gegründet. Frau Leibovici-Mühlberger, bekannt durch Bücher über ‚Tyrannenkinder‘, liess sich gar zu einer Ferndiagnose hinreissen, in der sie meine Initiative pathologisiert.

#PatEx

Und an dieser Stelle wird klar, dass ‚Mainsplaining‘ als  Begriff viel zu kurz greift. Etwas herablassend oder bevormundend zu erklären, hat nichts mit dem Geschlecht zu tun. Das machen überwiegend Männer und auch Frauen, die in patriarchalen Strukturen verwurzelt sind. Man könnte einen neuen Hashtag kreieren für die patriarchalischen Experten, denen man keinesfalls auf den Leim gehen sollte. #PatEx

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